Wissenschaftliche Berichte - FZKA 6553

Modellierung des Reaktionsverhaltens von Glycerin in sub- und überkr itischem Wasser

Ziel dieser Arbeit war die Entwicklung eines Reaktionsmodells, mit dem das Reaktionsver-halten von Glycerin in sub- und überkritischem Wasser (T > 374 °C, p > 221 bar) beschrieben wird. Das Modell sollte einen grundlegenden Beitrag zum Verständnis konkurrierender ioni-scher und radikalischer Reaktionspfade liefern.

Als Basis für die Modellentwicklung wurden Wasser-Glyceringemische (1 - 3 Vol %) in einer Strömungsapparatur umgesetzt. Bei Reaktionstemperaturen in einem Bereich von 622 bis 748°K und Drücken von 250, 350 und 450 bar wurden die Verweilzeiten zwischen 32 und 132 s variiert.

Das Produktgemisch bestand aus einer wässrigen und einer Gasphase, für die jeweils geeignete Analyse-Methoden gefunden werden mussten. Die quantitative Analyse der flüssigen Phase wurde mittels der Headspace-GC-FID und der UV-VIS-Spektroskopie, die der gasförmigen Proben via GC-WLD-FID durchgeführt.

In subkritischem Wasser (622,4 °K, 450 bar) wurden vor allem Acetaldehyd, Acrolein und Formaldehyd gebildet. Die Bildung gasförmiger Reaktionsprodukte war vernachlässigbar gering. Das enge Produktspektrum, die hohe Dielektrizitätskonstante (e = 17) und das hohe Ionenprodukt (Kw = 10-11,2 mol2/l2) rechtfertigten die Annahme eines ionischen Reaktionsmechanismus. In überkritischem Wasser entstanden dagegen Oxidations- und Reduktions-produkte, die auf Reaktionen mit Hydroxyl- und Wasserstoffradikalen zurückzuführen waren. Neben Acetaldehyd, Acrolein und Formaldehyd konnten auch Methanol, Allylalkohol, Propionaldehyd, Ethanol und Aceton quantifiziert werden. In der Gasphase entstanden vor allem Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Wasserstoff.

Die mathematische Modellierung erfolgte mit dem Programmpaket Chemkin II, das auf der Grundlage definierter ionischer und radikalischer Reaktionsmöglichkeiten die Edukt- und Produktdynamik des Reaktionssystems berechnete. Die Rechnungen erfolgten unter der Annahme einer Pfropfenströmung bei isothermen und isobaren Reaktionsbedingungen. Da bislang immer noch ein erheblicher Mangel an untersuchten Reaktionen in heißem Hoch-druckwasser besteht, basierten sowohl die Chemie als auch die Arrheniusparameter zahl-reicher Reaktionen auf Annahmen.

Während sich die radikalischen Reaktionsschritte an den klassischen Pyrolysereaktionstypen orientierten, berücksichtigten die Ionenreaktionen neben bi- und monomolekularen Elimi-nierungen auch Aldolkondensations- und Acetalysierungsmechanismen. Die Protonen- und Hydroxylionenkonzentrationen wurden über die Eigendissoziation des Wassers gesteuert.

Die Edukt- und Produktdynamik des Modells wurde für einen Druck von 450 bar schrittweise optimiert. Anhand von Fluss- und Sensitivitätsberechnungen konnte eine gezielte Variation der approximierten Arrheniusparameter erfolgen. Gleichzeitig ergaben sich Hinweise auf noch fehlende Schlüsselreaktionen. Durch das Formulieren konzertierter Reaktionsschritte wurde die Anzahl der zu optimierenden Reaktionen erheblich reduziert und der Optimie-rungsprozess vereinfacht. Die zusätzliche Berücksichtigung von Wasserstoffbrückenwechsel-wirkungen steigerte die berechneten Produktkonzentrationen geringfügig.

Am Ende (nach ca. 150 Probeläufen) bestand das Reaktionsmodell aus 95 Substanzen, 340 radikalischen und 43 ionischen Reaktionen. Anhand von Fluss- und Sensitivitätsanalysen konnten 36 radikalische und 12 ionische Schlüsselreaktionen bestimmt und die prozentualen Nettoedukt- bzw. Nettoproduktflüsse der beteiligten Substanzen angegeben werden.

Für geringere Drücke (250 und 350 bar) zeigten die Modellrechnungen eine wesentlich schlechtere Übereinstimmung mit den Experimenten und lieferten den Hinweis, dass die Reaktionen mit einer Druckreduzierung beschleunigt wurden. Das Phänomen konnte mit dem Lösungsmittelkäfig erklärt werden, der mit abnehmendem Druck schwächer wurde und einen Übergang von der diffusionskontrollierten Reaktion zur kinetischen Kontrolle begünstigte.

Die Bruttoreaktionsgeschwindigkeit ließ sich am besten durch ein Geschwindigkeits-Zeitgesetz der Ordnung n = 0,95 - 1,25 beschreiben. Eine eindeutige Druck- bzw. Tempera-turabhängigkeit der Reaktionsordnung wurde nicht gefunden.

Der Arrheniusplot zeigte die Überlagerung der beiden Teilmechanismen. Während der freie Radikalmechanismus hauptsächlich von der Temperatur abhing, wurde der Ionenmecha-nismus durch das Ionenprodukt des Wassers bestimmt. Für den radikalischen Mechanismus ergab sich eine Aktivierungsenergie von 150,3 kJ/mol und ein präexponentieller Faktor von 1018 s-1. Bei einer Temperaturerniedrigung von 664 °K (450 bar) auf 622 °K (450 bar) konnte eine Zunahme der globalen Geschwindigkeitskonstante festgestellt werden.

Bei 665 - 668 K resultierte aus einer Druckerhöhung eine Zunahme der Reaktionsge-schwindigkeit. Zwischen 250 und 350 bar wurde ein Aktivierungsvolumen von -167 cm3/mol ermittelt.

Auch der Kirkwoodplot (e = 2,7 - 12,3) zeigte auf Grund der Mechanismenüberlagerung keinen linearen Zusammenhang. Die globale Geschwindigkeitskonstante nahm mit der Lösungsmitteldielektrizitätskonstante zu, da die Übergangszustände im Vergleich zu den Edukten eine höhere Polarität aufwiesen. Im Bereich des Ionenmechanismus wurde eine überproportionale Steigerung der globalen Geschwindigkeitskonstante beobachtet.

Obwohl die Modellrechnungen auf der Basis zahlreicher Annahmen erfolgten, konnten die experimentellen Umsätze und Produktkonzentrationen gut wiedergegeben und ein umfassen-des Reaktionsmodell entwickelt werden. Die mechanistische Modellierung auf der Basis einzelner Reaktionen erwies sich somit als ein geeignetes Instrumentarium zur Aufklärung und Berechnung dieses komplexen Reaktionssystems.

Modeling the reaction behavior of glycerol in sub- and super-critical water

The intention of this work was to develop a reaction model to describe the reaction dynamics of glycerol in sub- and supercritical water (T > 374 °C, p > 221 bar). The model aimed at improving the understanding of the competition of ionic and radical reactions in this solvent.

The model is based on the results of 66 experiments performed in a tube reactor. The reactions were carried out at variable temperature (622 - 748 K), pressure (250, 350 and 450 bar), reaction time (32 - 60 sec.), and initial glycerol concentration (1 - 3 vol. %).

The product samples consisted of a liquid and a gaseous phase. A special methodology for the analysis of each phase had to be worked out. The liquid products were analyzed by headspace-GC-FID and UV-VIS spectroscopy, the gaseous products by GC-WLD-FID.

In subcritical water (622.4 °K, 450 bar), mainly the formation of acetaldehyde, acrolein, and formaldehyde could be observed, whereas the formation of gaseous products was negligible. Due to the occurence of a small number of products only, a high dielectric constant (e = 17) as well as the high values for the ionic product of water (Kw = 10-11,2 mol2/l2), it was strongly justified to assume a certain ionic reaction mechanism. In supercritical water, on the other hand, the formation of oxidation and reduction products as a result of reactions with hydroxyl and hydrogen radicals was observed. The following main products were detected as part of the liquid phase: acetaldehyde, acrolein, formaldehyde, methanol, allyl alcohol, propionaldehyde, ethanol, and finally acetone. Within the gaseous phase large amounts of carbon monoxide, carbon dioxide, and hydrogen could be measured.

The model calculations of the reactant and product dynamics were executed by the Chemkin II code on the basis of defined ionic and radical reaction steps. A plug flow behavior under isothermal and isobaric conditions was assumed for the calculations. Due to the lack of well-known reactions in high-temperature water, both the chemistry and the kinetic parameters, especially for the ionic reactions, were often highly speculative.

Radical reaction steps were based on the classical steps of pyrolysis, whereas the ionic reactions mainly considered bimolecular and monomolecular elimination as well as aldolcondensation and acetalization. The concentration of protons and hydroxyl ions was controlled by the self-dissociation of water.

The dynamics of reactants and products was optimized stepwise for a pressure of 450 bar. By the results of flow and sensitivity calculations, a specific variation of the approximated kinetic parameters became possible. These calculations gave an additional hint as to the missing key reactions. In consideration of concerted reaction steps the number of key reactions was substantially reduced and the optimization prozess simplified. Oxygen-containing substances were stabilized by a hydrogen bonding correction. At the end of the optimization process the reaction model consisted of 95 substances, 340 radical and 43 ionic reactions. But only 36 radical and 12 ionic reactions were detected as sensitive key reactions.

Experimental and calculated data differed at lower pressures (250 and 350 bar) as a result of the cage effect. Accordingly reactions were accelerated with decreasing pressure and a transition from the diffusion controlled reaction to the kinetically controlled reaction was possible.

The order n of the global reaction velocity was determined by n = 0.95 - 1.25. A definite dependence neither on pressure nor on temperature was found.

The diagram of Arrhenius showed an overlay of the two mechanisms. Whereas the free radical mechanism depended mainly on the temperature, the ionic mechanism was determined by the ionic product of water. An activation energy of 150.3 kJ/mol and a pre-exponential factor of 1018 s-1 could be evaluated. Furthermore, a decline in temperature from 664 °K (450 bar) to 622 °K (450 bar) was followed by an obvious increase of the global reaction velocity.

The pressure rise accelerated the reaction velocity at a temperature of 665 - 668 K. Between 250 and 350 bar an activation volume of -167 cm3/mol was estimated.

Due to the mechanism overlay, the diagram of Kirkwood (e = 2.7 - 12.3) also did not show any linear dependency. The global reaction velocity increased with the dielectric constant of the solvent because the transition states had a higher polarity than the reactants. The strongest increase could be observed in the area of the ionic mechanism.

Although the model calculations were conducted on the basis of many assumptions, the results led to a good description of the chemical experiments and, therefore, contributed essentially to the understanding of such a complex reaction system in high-pressure water.