Wissenschaftliche Berichte - FZKA 6572
Kreislaufwirtschaft im Baubereich: Steuerung zukünftiger Stoffströme am Beispiel von Gips

Zusammenfassung:
Im Zuge der Diskussion um eine ökologisch und ökonomisch verträgliche Gestaltung von Stoffströmen richtet sich der Fokus in den letzten Jahren zunehmend auf den Bausektor. Dies ist im wesentlichen auf drei spezifische Einflussfaktoren zurückzuführen: die mengenmäßig überragende Bedeutung des Bausektors, die sehr heterogene Struktur der Akteure im Stoffstrom und nicht zuletzt die lange Verweilzeit von erstellten Produkten im Puffer Bauwesen, die erst in der nächsten oder übernächsten Generation einen Abfallstrom induziert. Neben der expliziten Betrachtung einer Gestaltung der Entsorgungsströme untersucht Stoffstrommanagement auch die Versorgungsseite und beantwortet die Frage der Ressourcenverfügbarkeit für kommende Generationen. Die möglichst effiziente Kopplung von Versorgung, Konsum und Entsorgung sowie die Planung der Austauschbeziehungen zwischen diesen drei Sektoren und zwischen Technosphäre und Ökosphäre ist dabei im Mittelpunkt. Ziel der Arbeit ist es, den Bestand des Stofflagers im Bauwesen im Hinblick auf seine Eigenschaft als zukünftigen Input für die Reduktionswirtschaft und damit als Ressource für die Bauwirtschaft von morgen zu beschreiben. Hierzu wird der Begriff des Dispersionsgrads eingeführt, der mit Hilfe qualitativer Parameter Art und Ausmaß der Verteilung eines Stoffes in einem Produkt unter dem Gesichtspunkt einer effizienten Kreislaufführung beschreibt. Aggregiert man die Dispersionsgrade eines Stoffs über alle Produkte, in denen dieser Stoff vorkommt, ergibt sich die qualitative Zusammensetzung des Stofflagers für diesen Stoff und damit eine Planungsgröße für die Reduktionswirtschaft. Für eine Dynamisierung des Modells wird die durchschnittliche Lebensdauer eines Produkts sowie dessen Streuung geschätzt. Zur Schätzung der Mengen eines Stoffes wird eine systemische Darstellung herangezogen, so dass die bestehende Datenunsicherheit sowohl durch Top-Down- und Bottom-Up-Ermitt-lungen als auch durch einen Systemvergleich mit anderen Stoffströmen minimiert wird. Die Modellierung des Lagers als Durchflussreaktor aus qualitativ-zeitlich unterschiedlichen Elementen erlaubt die Prognose über Mengen, Qualitäten und Zeitpunkte zukünftiger Abfälle. Die Anwendung des Modells erfolgt am Beispiel von Gips. Obwohl von Gips keine unmittelbaren Gefahren bei Gebäudenutzung und Entsorgung ausgehen, sind für Gips einige wenig beachtete zukünftige Trends kennzeichnend. So steigt, bedingt durch synthetische Gipsquellen (Rauchgasentschwefelung), die Verwendung von Gips im Baubereich seit etwa 1985 stark an, es muss jedoch infrage gestellt werden, inwieweit dieser Bedarf auch in Zukunft über das Jahr 2030 hinaus gedeckt werden kann. Ferner müssen Konzepte für den Umgang mit dem bereits in näherer Zukunft zu erwartenden stark anschwellenden Abfallstrom formuliert werden, wenn man berücksichtigt, dass Gips die Wiederverwendbarkeit anderer Baumaterialien und das Verhalten von Bauschutt auf Deponien beeinträchtigt. Die Darstellungsform erlaubt die Entwicklung möglicher Szenarien: Welche Auswirkungen besitzt ein Verzicht auf die Kohleverbrennung? Welche Menge an kreislaufgeführtem Gips ist für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit erforderlich? Welche Anforderungen werden an die recyclinggerechte Konstruktion neuer Gipsprodukte mit niedrigeren Dispersionsgraden und längeren Lebensdauern gestellt? Welche Abfallwege sollen die Gipsmaterialien gehen? Welche technischen, logistischen und informatorischen Voraussetzungen müssen gegeben sein, um eine maximale Kreislaufführung zu ermöglichen? Die qualitativ-zeitliche Modellierung von anthropogenen Lagerbeständen lässt sich grundsätzlich auf alle persistenten Materialien oder Stoffe anwenden, der Aufwand steigt jedoch mit der Anzahl der Produkte, in denen der Stoff vorkommt.
Closed-loop economics in the construction sector: control of future material flows exemplified by gypsum
Summary:
The thesis examines the dynamics and the composition of materials in the construction sector in order to prove that the already existing buildings may serve as a resource for future construction activity just as natural resources do. The qualitative distribution of the materials is described by the degree of dispersion, a newly introduced figure to illustrate the extension to which materials are spread in the technosphere and thus their readiness for future recycling and usage. The aggregation of all degrees of dispersion over all products in which a material occurs provides an efficient planning measure for the currently establishing reduction economics. The dynamics of the system is modelled by calculating average life-spans of products and fitting them into a cohort analysis. The current volumes and masses of a material within the construction sector are approximated by a systemic approach. The resulting model of a throughput reactor enables the prediction of quantities and composition of future waste generations showing the masses already suitable for recycling and those that need further consideration and treatment. The model is applied to gypsum, a highly distributed yet not harmful or toxic material within the construction sector. The use of gypsum has more than doubled in the past 15 years due to the occurrence of synthetic gypsum from flue gas desulfurization. The following scenarios are examined by means of the model: how does a decrease of coal combustion affect the availability of gypsum? To which extent is the stock in the technosphere able to substitute for natural resources? Which requirements are imposed on a sustainable, recyclable construction of gypsum products with low degrees of dispersion and long lifetimes? How can we deal with future waste generation that will be 5-6 times larger than the current mass flows? Which consequences can be derived for actors in the reduction economics?