Forschungszentrum Karlsruhe - Wissenschaftliche Berichte - FZKA 6725
Die Verzweigung des
Nukleosynthesepfades am 128I – ein stellares Thermometer
R. Reifarth
Zusammenfassung
Das Ziel der Arbeit war eine präzise quantitative Analyse der
s-Prozessverzweigung am 128I. Dafür ist die Kenntnis der
Neutroneneinfangquerschnitte der reinen s-Kerne 128, 130Xe im
stellaren Energiebereich sowie der Einfluss eventueller zusätzlicher Verzweigungen
an den ungeraden Tellurisotopen und 129I nötig.
Deshalb wurden die (n,g)-Raten von 128, 129, 130Xe im Energiebereich von 3 bis 225 keV mit der Flugzeitmethode, relativ zum Goldstandard, differentiell gemessen. Die Neutronen wurden am Van-de-Graaff-Beschleuniger des Instituts für Kernphysik am Forschungszentrum Karlsruhe via 7Li(p,n) erzeugt und die Einfangereignisse mit dem Karlsruher 4p-BaF2-Detektor nachgewiesen. Die Herstellung von Hochdruckgasproben ermöglichte den Einsatz von bis zu 0,7 g schweren isotopenreinen Xenonproben, eine wesentliche Voraussetzung für kleine systematische Unsicherheiten. Umfangreiche Monte-Carlo-Simulationen mit dem am CERN entwickelten Programm GEANT begleiteten die Messung wie die Auswertung des Experimentes. Sie erlaubten erstmals die Interpretation der bis dahin unverstandenen Verbreiterung der Goldlinie im Einfangspektrum als Folge der starken Elektronenkonversion. Die resultierenden Maxwell-Boltzmann-gemittelten Querschnitte weisen Fehler zwischen einem und zwei Prozent auf.
Des weiteren wurden mehrere Neutronenaktivierungen mit natürlichem Tellur durchgeführt. Zunächst konnten nach einer Aktivierung mit thermischen Neutronen am Forschungsreaktor TRIGA-HD II des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg neben den partiellen Querschnittsverhältnissen einiger Tellurisotope auch eine Reihe kernphysikalischer Daten der Isomerzerfälle mit deutlich verbesserter Genauigkeit bestimmt werden. Am Karlsruher Van-de-Graaff-Beschleuniger wurden zwei weitere Bestrahlungen mit Neutronen quasistellarer Energieverteilung vorgenommen, um die bis dahin unbekannten Verhältnisse der Partialquerschnitte der schweren Tellurisotope zu bestimmen.
Mit der erfolgreichen Messung der stellaren Einfangquerschnitte von 147Pm und 129I konnte gezeigt werden, dass die Kombination von Aktivierungstechnik und Clover-Detektoren, granulierten Germaniumdetektoren hoher Ansprechwahrscheinlichkeit, die Messung der (n,g)-Querschnitte radioaktiver Isotope erlaubt. In beiden Fällen stand weniger als 1 µg Probenmenge zur Verfügung. Die Diskriminierung der probeneigenen Radioaktivität erforderte die Analyse von g-g-Koinzidenzen. Die komplex zusammengesetzte Ansprechwahrscheinlichkeit für solche Ereignisse, unter Berücksichtigung eventueller Korrekturen für weitere koinzident emittierte Photonen, wurde durch detaillierte Monte-Carlo-Simulationen bestimmt.
Für die astrophysikalischen Fragenstellungen ergeben sich aus dieser Arbeit folgende wichtige Ergebnisse:
· Die mit den neu gewonnenen Querschnitten durchgeführten Netzwerkrechnungen bestätigen das stellare Modell für den s-Prozess in AGB-Sternen von 1-3 M, wogegen die klassische Beschreibung auch bei dieser Verzweigung versagt.
· Der von den p-Prozessmodellen vorhergesagte signifikante p-Anteil an 128Xe kann aufgrund der s-Analyse eingeschränkt werden.
· Die Xe-Häufigkeit im Sonnensystem kann mit einer Genauigkeit von 4 % festgelegt werden.
The branching of the nucleosynthesis path at 128I
– a stellar thermometer
Abstract
The goal of the present work was a precise, quantitative analysis of the
s-process branching at 128I. For this purpose an accurate knowledge
of the (n,g)-cross
sections of the s-only isotopes 128, 130Xe in the stellar
energy range as well as of the possible impact of additional branchings at the
odd Te isotopes and 129I is necessary.
Therefore, the differential (n,g)-rates of 128, 129, 130Xe
have been measured relative to the gold standard for neutron energies between 3
and 225 keV using the time of flight technique. Neutrons were produced via
the 7Li(p,n) reaction at the Van-de-Graaff accelerator of the
“Institut für Kernphysik” at the Forschungszentrum Karlsruhe. Capture events
were detected with the Karlsruhe 4p BaF2 detector. Using high pressure gas samples allowed to
use isotopically enriched xenon samples of up to 0.7 g – a substantial
prerequisite for small systematic uncertainties. Detailed Monte-Carlo
simulations with the GEANT code were accompanying experiment as well as data
analysis and allowed to interpret the previously unexplained broadening of the
gold peak as a result of electron conversion. In this way the stellar cross
sections could be determined with typical uncertainties between 1 and 2 %.
Furthermore, neutron activation measurements
with natural tellurium have been carried out. As a result of an activation with
thermal neutrons at the research reactor TRIGA-HD II at Deutsches
Krebsforschungszentrum Heidelberg partial capture cross sections and a number
of other nuclear data could be determined with significantly improved accuracy.
In order to determine the unknown partial capture cross sections of the heavy
tellurium isotopes, two activations with stellar neutrons were carried out at
the Karlsruhe Van-de-Graaff accelerator as well.
The successful measurement of the stellar (n,g)-cross sections of 147Pm
and 129I showed, that a combination of activation technique and
germanium clover-detectors allows to determine cross sections of radioactive
isotopes. In both cases less than 1 µg material was sufficient. The
discrimination of the intrinsic
background required a g-g-coincidence analysis, which was again accompanied by GEANT simulations
including complex cascade corrections.
The following important astrophysical results
could be achieved:
·
New network
calculations including the cross sections presented in this work confirm the
stellar model of the s-process in AGB-stars of 1 to 3 solar masses, while the
classical approach fails also for this branching.
·
The
significant p-process contribution to 128Xe predicted by the
respective models can be restricted by the s-process analysis.
·
The
solar Xe abundance can be determined with 4 % uncertainty.