Forschungszentrum Karlsruhe - Wissenschaftliche Berichte - FZKA 6775

Konditionale ubiquitäre Expression des Homöoboxgens goosecoid im Primitivstreifen der Maus

Kirsten Deißler

Zusammenfassung
Gastrulation bezeichnet eine Phase der frühen Embryonalentwicklung. In der Maus entsteht dabei aus dem bis dahin einschichtigen, zylinderförmigen Embryo ein dreischichtiger Keim aus Ektoderm, Mesoderm und Entoderm. Gleichzeitig werden die Körperachsen und der Grundbauplan festgelegt. Mit dem Auftreten des Primitivstreifens wird die anterior-posteriore Achse erstmals sichtbar. Von dort wandern im Verlauf der Gastrulation präsumptive mesodermale und entodermale Zellen aus. Die Zellen des Primitivstreifens weisen morphologisch auf diesem Stadium keinerlei Unterschiede auf. Die spätere Differenzierung in spezifische Derivate entlang der cephalo-caudalen Achse läßt sich noch nicht erkennen. Dennoch bestehen auf molekularem Niveau bereits deutliche Unterschiede, die sich in Form spezifisch positionierter Expression von Genen manifestieren. Um diesen Vorgang der regionalen Spezifizierung des Primitivstreifens auf molekularembryologischer Ebene zu untersuchen wurde eine transgene Maus hergestellt, die das Homöoboxgen goosecoid im Primitivstreifen räumlich missexprimierte. Zur konditionalen Missexpression wurde ein Kontrollelement aus dem Promotor des Gens Brachyury verwendet, das für dessen Aktivität im gesamten Primitivstreifen von der frühen Gastrulation bis zu Organogenesestadien verantwortlich ist. Es wurde eine transgene Maus erzeugt, die das Markergen b-Galaktosidase, von loxP-Sequenzen flankiert, unter der Kontrolle des Brachyury-Promotors exprimiert, und in der ein benachtbartes goosecoid-Gen nicht zur Ausprägung kommt. In einem zweiten Schritt wurde das Markergen nach Kreuzen mit einer CRE-produzierenden Mauslinie durch Sequenz-spezifische Rekombination entfernt, und das goosecoid-Gen unter Brachyury-Promotor Kontrolle gebracht.

Die ektopische Expression des goosecoid Gens führte zu einem veränderten Wanderungsverhalten der mesodermalen Zellen des Primitivstreifens. Daraus resultierte eine Verbreiterung des Prächordalplattenmesoderms, welches im darüberliegenden Neuroektoderm eine verbreiterte Grundplatte induzierte. Dies behinderte den Neuralrohrverschluss und verursachte Exencephalie. Die molekulare Analyse ergab, dass in den transgenen Embryonen eine Repression der endogenen Brachyury Transkription durch GOOSECOID im Primitivstreifenmesoderm in vivo bestätigt werden konnte. Desweiteren resultierte die goosecoid Missexpression in einer Aktivierung der endogenen Genexpression von Fgf-8 und Hnf-3b im präsumptiven Mesoderm des Primitivstreifens als auch im anterioren Neuroektoderm.

Die in der vorliegenden Arbeit hergestellte konditionale transgene Mauslinie eignet sich nicht nur für die Untersuchung der Regionalisierung des Primitivstreifenmesoderms und der Mechanismen der Zellwanderung im Mausembryo, sondern bietet ein Modell für Missbildungen des Neuralrohrverschlusses, nicht zuletzt auch beim Menschen an.

Conditional Misexpression of the Homeobox gene goosecoid in the Primitive Streak of the Mouse

Abstract
Gastrulation is an important phase of early embryogenesis. It is during this phase that the three germ layers arise – ectoderm, mesoderm and endoderm – and the primary body axes and basic body plan are established. In the mouse, gastrulation begins when the primitive streak forms in the cylindrical embryo. This is the first visible marker of the anterior-posterior axis. As gastrulation proceeds, presumptive mesodermal and endodermal cells delaminate from the streak. Although at this stage these mesendodermal cells of the primitive streak do not show any morphological signs of anterior-posterior determination or differentiation, regional differences already exist on a molecular level in the form of specifically localised gene expression.

In order to study the process by which the primitive streak becomes regionalised, the homeobox gene goosecoid was misexpressed in the entire primitive streak in transgenic mice. By bringing goosecoid under the control of the Brachyury promoter element responsible for activity within the whole primitive streak from early gastrulation until the onset of organogenesis, goosecoid expression was spatially expanded in the primitive streak and temporally prolonged to last throughout gastrulation. For conditional misexpression, transgenic animals have been generated that express the marker gene b-galactosidase, flanked by loxP sites, under the control of the Brachyury promoter. The downstream goosecoid transgene was silent until the intervening marker gene was removed by sequencespecific recombination following genetic crossing with mice producing the CRE recombinase.

The ectopic goosecoid expression resulted in a change in the migratory behaviour of mesodermal streak cells. This led to extension of the prechordal plate mesoderm, which induced a broader floor plate in the overlying neuroectoderm.

This interfered with the closure of the neural tube and thus caused exencephaly. Molecular analysis of the transgenic embryos confirmed the repression of endogenous Brachyury transcription by goosecoid in vivo. In addition, misexpression of goosecoid caused activation of endogenous Fgf-8 and Hnf-3b expression in the presumptive mesoderm of the streak and in the anterior neuroectoderm.

The conditional transgenic mouse generated in this study allows investigation of the process of regionalisation in the primitive streak mesoderm and of the mechanisms of cell migration in the mouse embryo. In addition, this transgenic mouse could serve as a model for neural tube closure defects in humans.

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